Werkschau: Grimme-Preis & Grimme Online Award

Ausgezeichnete und nominierte Beiträge zum Thema Wissenschaftskommunikation

Quelle: Pixabay/holdendrils

Informationen aus den Wissenschaften sind längst nicht mehr nur in Universitätsbibliotheken zu finden. Studienergebnisse, wissenschaftliche Einschätzungen und Prognosen sowie stetige Updates zu Gesundheits- und Klimathemen aus der Wissenschaft sind stets und ständig in den Medien präsent. Eine gelungene Vermittlung komplexer Inhalte ist dabei anspruchsvoll und das insbesondere in unter Zeitdruck arbeitenden Redaktionen. Es gilt, immer auf dem neuesten Stand zu bleiben für eine Leserschaft, die wiederum – zumindest in Teilen – nur Schlagzeilen überfliegt.

Das Thema Wissenschaftsjournalismus und Wissenschaftskommunikation findet sich auch in vielfältiger Weise im Grimme-Institut wieder, sei es in Publikationen, Projekten oder bei Preisträger(inne)n des Grimme-Preises oder des Grimme Online Award.

Beginnen möchten wir mit einem Blick in das Preisgeschehen des Grimme-Instituts, das bereits zahlreiche Fernsehproduktionen und Online-Angebote aus dem wissenschaftlichen Bereich ausgezeichnet hat.

 

Grimme-Preis

Klimawandel, Corona, Wirtschaft und Geschichte – alles Themen, die komplex und zudem mit Emotionen verbunden sind. Guter Stoff also für Fernsehproduktionen. Entsprechend finden sich unter den eingereichten Fernsehproduktionen beim Grimme-Preis der vergangenen Jahre solche, die sich mit wissenschaftlichen Themen auseinandersetzen und anspruchsvolle Inhalte für die Zuschauerschaft darbieten. Im Folgenden finden sich ein paar Beispiele aus der Liste der Nominierten und Preisträger(innen) der Jahre 2019 bis 2023.

  • 2019 wurde Karsten Schwanke für seine präzise Analyse der Klimawandelfolgen anhand der Waldbrände in Kalifornien in der Sendung „Wetter vor acht“ (16.11.2018) nominiert.
  • Im darauffolgenden Jahr erhielt die Produktion „logo! Die Welt und ich.“ (ZDF / KIKA) eine Nominierung für die „in kontinuierlicher Qualität kompakte und verständliche Aufbereitung komplexer Zusammenhänge“ für die junge Zielgruppe.

  • 2021 ging der Grimme-Preis für die Besondere Journalistische Leistung an Mai Thi Nguyen-Kim für ihre „sowohl wissenschaftlich hochkompetente als auch breitenwirksame Informationsvermittlung zum Thema Corona“ in ihrem funk-Format „maiLab“ (funk / SWR) sowie bei ihren Moderationen von „Quarks – Corona in 5 Minuten“ (WDR).

„Neben der Vermittlung von Fakten macht sich Mai Thi Nguyen-Kim zudem darum verdient, den Zuschauer*innen zu erklären, wie Wissenschaft funktioniert. Sie erläutert, wie Studien zu bewerten sind, woran man erkennt, ob sie wissenschaftlichen Standards folgen, wo Schwächen und Stärken liegen. In einer Zeit, in der viele Menschen Quellen nicht überprüfen, ihre Gefühle mit Fakten verwechseln und Widerspruch nicht aushalten, trägt sie so auch dazu bei, die Debattenkultur in unserer Gesellschaft zu verbessern.

Mai Thi Nguyen-Kim ist erstaunlich vielseitig. Bei ‚maiLab‘ findet sie den richtigen Ton für eine jüngere Zielgruppe, doch auch, wenn sie das WDR-Wissenschaftsmagazin ‚Quarks‘ moderiert oder in Talkshows über Corona und die Folgen spricht, tut sie das souverän, ruhig und faktenbasiert. Ihren ‚Tagesthemen‘-Kommentar Virus, du hast dir den falschen Wirt gesucht‘, zitierte Bundeskanzlerin Angela Merkel im Bundestag.“ 
(Jury-Begründung 2021)

2022 erhielt die Fernsehproduktion „Oeconomia“ (Petrolio Film für ZDF/3sat) den Grimme-Preis im Bereich Information & Kultur. Der Dokumentarfilm von Carmen Losmann befasst sich mit Ökonomie und Finanzwirtschaft: In Gesprächen mit Banker(inne)n und Manager(inne)n geht sie der Frage nach, wie Geld und Gewinne entstehen und wie Geldflüsse funktionieren.

„Das Prinzip Neugier trägt den Film. Die Regisseurin beweist Mut zu einfachen Fragen, auf die es keine simplen Antworten gibt. Carmen Losmann hat einflussreiche Finanzentscheider:innen und Banker:innen gefragt, wie das System funktioniert. Die scheinbare Naivität ihrer Fragen ist entwaffnend. Beharrlich hakt sie nach und bringt mitunter die Ideenarchitektur ihrer Gesprächspartner:innen ins Wanken. Wir schauen den Banker:innen ins Gesicht und dies verrät zuweilen mehr als manch gesprochenes Wort. Losmann nimmt ihre Protagonist:innen trotzdem ernst und lässt ihnen auch ihren Platz im Expertise-Korridor, den sie oft nur schwer verlassen können.

‚Oeconomia‘ beobachtet ein System, das sich nur ungern in die Karten schauen lässt. Zum Inventar dieser Produktion gehören daher auch verweigerte Drehgenehmigungen, nachgestellte Konferenzen und aus Gedächtnisprotokollen wiedergegebene Gespräche. Die Schwierigkeiten verwandelt die Regisseurin geschickt in Stärken des Filmes, indem sie die Bedingungen, unter denen ihr Material entstand, reflektiert.“
(Jury-Begründung 2022)

2023 erhielt die Dokumentation „Unrecht und Widerstand – Romani Rose und die Bürgerrechtsbewegung“ (strandfilm / Navigator Film für ZDF / 3sat) einen Grimme-Preis. Am 2. August 2021 erhielt der Vorsitzende des Zentralrats Deutscher Sinti und Roma, Romani Rose, in der Gedenkstätte Auschwitz-Birkenau die Auszeichnung „Licht der Erinnerung“ als Ehrung für „sein jahrzehntelanges Engagement im Kampf um die Erinnerung und die Anerkennung des Porajmos, des Völkermords an den europäischen Sinti und Roma durch die Nationalsozialisten“. Romani Rose und seiner Mitstreiter(innen) richteten sich darüber hinaus auch gegen das Totschweigen dieses Genozids in Deutschland sowie dagegen, dass „…Überlebende und Nachkommen erneut staatlichen Schikanen ausgeliefert [waren]“ und auch in den Jahrzehnten nach 1945 Opfer von Ausgrenzung und Rassismus waren.

„Ausgehend von der Lebens- und Familiengeschichte Roses schildert der Dokumentarfilm wichtige Etappen dieser Auseinandersetzung, verbindet umfangreiches dokumentarisches Archivmaterial – darunter Aussagen von Opfern und Auszüge aus gesellschaftlichen Debatten – mit zeitgenössischen Interviews mit Romani Rose und anderen Protagonist:innen der Bürgerrechtsbewegung, aber auch mit Historiker:innen, und erzählt auf eindringliche Weise vom Leid der Sinti und Roma vor und nach 1945. Er vermittelt dabei, wie die Gesellschaft, der Staat mit Legislative, Exekutive und Judikative sowie die Kirche in personeller, struktureller und ideologischer Hinsicht über Jahrzehnte hinweg Anteil an einer Fortführung der Diffamierung, Ausgrenzung und Entrechtung hatten.“
(Inhaltsbeschreibung

„Die Notwendigkeit, das Leid der Sinti und Roma vor und nach 1945 endlich in umfassender und angemessener Weise zu erzählen, ergibt sich nicht nur aus dem unfassbaren und schrecklichen Geschehen selbst, sondern auch aus dem erstaunlichen und nur schwer zu begreifenden Umstand heraus, dass dies bisher noch nicht geschehen ist. Schon allein damit leistet der Film einen wichtigen und instruktiven Beitrag zur Chronik bundesdeutscher Geschichte, füllt eine nicht zu akzeptierende Leerstelle und trägt zu aktuellen geschichtswissenschaftlichen Debatten bei.“
(Jury-Begründung 2023

2023 erhielt die Dokumentation „Atomkraft Forever“ (PIER 53 Filmproduktion für SWR / NDR) ebenfalls im Bereich „Information & Kultur“ einen Grimme-Preis. Carsten Rau (Buch und Regie) hat in diesem Film die Demontage des Kernkraftwerkes Greifswald und die Abschaltung von zwei Blöcken des AKW in Gundremmingen beleuchtet, aber auch die Bundesgesellschaft für Endlagerung (BGE), das Kernforschungsinstitut Caradache und eine Konferenz junger Nuklearwissenschaftler(innen) in Frankreich besucht.

„Der Film dokumentiert an verschiedenen Aspekten und Orten, wie die Abhängigkeit vom und der gestiegene Bedarf an Atomstrom einen Atomausstieg erschweren und gleichzeitig alternativlos erscheinen lassen. Vor allem aber führt der Film überaus unaufgeregt vor, dass mit der Abschaltung der Reaktoren und Kraftwerke der Gegenstand selbst nicht einfach verschwindet.“
(Inhaltsbeschreibung)

„Das KKW Greifswald ist eines von 17 Atomkraftwerken in Deutschland. 1990 abgeschaltet, wird es seit 1995 demontiert. 5,6 Milliarden Euro kostet dieser kleine Teil Atomausstieg und wird mindestens 80 Jahre dauern. Die Interviewpartner:innen – durch ihre Profession und den alltäglichen Umgang mit dem Thema Experten pro toto – erleben wir an den sehr gut ausgewählten Orten der Erkundigung bei ihrer Arbeit. So können wir ihren interessanten, allgemeinverständlichen Erklärungen, Argumenten und Beispielen folgen.“
(Jury-Begründung 2023

Grimme Online Award

Der Grimme Online Award widmete 2022 seine Preispublikation dem Thema Wissenschaftsvermittlung mit der Begründung: 

„Das Thema ‚Wissenschaftskommunikation / Wissenschaftsjournalismus‘ ist in Zeiten der Pandemie in den Fokus der Medienbeobachter und der Medienkritik geraten und virulent geworden. Die Aufsätze in der Publikation zum diesjährigen Grimme Online Award nehmen diese und weitere Fragen in den Blick.“
(Preispublikation Grimme Online Award 2022)

Die Preispublikation steht als kostenloser PDF-Download zur Verfügung. 

Unter den Nominierten 2022 findet sich beispielsweise das TikTok-Angebot @heeyleonie, in dessen Rahmen Leonie Schöler (Journalistin und Historikerin) ihre rund 161.000 Follower(innen) mit ausgewählten und teils nicht so bekannten historischen Themen und Rückblicken versorgt. Zu der Idee, wissenschaftliche Inhalte auf TikTok zu verbreiten, sagt sie selbst:

„[…] ich habe auch gemerkt, dass der Algorithmus mir immer mehr Bildungsinhalte in die Timeline gespielt hat. Vor allem aus dem englischsprachigen Raum, auch Geschichte oder Politik, soziale Diskussionen und gesellschaftspolitische Inhalte. Das hat mich fasziniert, weil ich das Gefühl gehabt habe, dass ich da in ganz kurzer Zeit neue Perspektiven und Ideen und auch interessante Fakten gelernt habe.“
(Wie passen TikTok und Geschichte zusammen? Quergewebt-Blog)

Unter den Nominierungen 2022 war auch „Abgespaced – Der Weltraum von A bis Z“. Der Kinder-Podcast der Stiftung Planetarium Berlin bietet Weltraumwissen auf hohem Niveau und beschäftigt sich mit Fragen wie „Wie schwer ist der Mond? Wo endet ein schwarzes Loch? Kann die Sonne explodieren und wie klingt Saturn?“. Kinderreporter(innen) und die „Universalintelligenz Spacy“ präsentieren die Inhalte kindgerecht und unterhaltsam, so dass die neun Folgen der ersten Staffel Lust auf Wissenschaft machen.

 

Bereits 2021 erhielt Niklas Kolorz einen Grimme Online Award für seinen TikTok-Kanal zum Thema Wissenschaft, dessen Videos in nur einer Minute so komplexe Inhalte wie astronomische Phänomene oder Aspekte der Evolutionstheorie erläutern, mit Einblendungen von Bildern, Grafiken und Quellenangaben. Aus diesen Einzelbeiträgen baut Niklas Kolorz oft thematische Reihen und geht auf die zahlreichen Kommentare seiner Follower(innen) ein.

Natürlich ging es in den Jahren 2020 / 2021 auch häufig um die Pandemie. Im Folgenden finden sich ein paar Beispiele, die sich mit der Vermittlung von Wissen und Informationen rund um das Corona-Virus beschäftigen.

  • 2021 wurde das Angebot „Corona Leichte Sprache“ von Anne Leichtfuß und Team nominiert. Dieses versucht eine Brücke zu schlagen zwischen komplexen Informationen zur Pandemie und dem Bedarf, diese in einfache Sprache zu übersetzen. Das ehrenamtliche Projekt „Corona Leichte Sprache“ arbeitet dabei mit Prüfer(inne)n aus der Zielgruppe zusammen und bietet eine Übersetzung aktueller Nachrichten sowie Hintergrundwissen zu den geltenden Regelungen bis hin zur Impfstoffentwicklung.
  • Ebenfalls nominiert war 2021 das Angebot „Das Coronavirus in Grafiken, Karten und Illustrationen“ des Wissens- und des Interaktivressorts von ZEIT ONLINE. Dort gibt es die aktuell recherchierten Kennzahlen und wissenschaftliche Zusammenhänge werden mit Animationen oder interaktiven Rechnern verständlich aufbereitet. „So ist ZEIT ONLINE zu einem täglichen Anlaufpunkt für alles Wissenswerte zur Pandemie geworden.“
  • Einen anderen Ansatz verfolgt das Angebot „Pandemia“, ein Podcast von Viertausendhertz mit dem Untertitel „Die Welt. Die Viren. Und wir.“, in dem die Wissenschaftsjournalist(inn)en Kai Kupferschmidt und Laura Salm-Reifferscheidt mit Moderator Nicolas Semak über die Geschichte von Pandemien sprechen und diese in Bezug zur aktuellen Corona-Pandemie setzen.

„Alle zwei Wochen vermitteln sie allgemein verständlich Wissen über große Infektionskrankheiten und ihre Bekämpfung. Dabei lassen sie Expert*innen aus aller Welt zu Wort kommen, die sonst nicht in den deutschen Medien zu hören sind.“
(Angebotsbeschreibung​​​​​​​)

Im Jahr 2020 wurde der Podcast „Das Coronavirus-Update“ ausgezeichnet. Dieser war damals gleich mehrfach als Vorschlag eingereicht worden. Sehr früh hatte sich das Redaktionsteam vom „Coronavirus-Update“ dazu entschieden, das Thema Corona wissenschaftlich aufzubereiten – aber auf eine zugängliche Weise.

Mehrmals pro Woche sprachen die NDR-Moderatorinnen Korinna Hennig und Anja Martini mit dem Virologen Christian Drosten, einem Experten, der genau dies bieten konnte, ausführlich über die Corona-Krise, über „aktuelle Studien, Symptome oder mögliche Gegenmaßnahmen“.

„Das Format des Interviews verlangt es, sich intensiv mit der Faktenlage und den aktuellsten Veröffentlichungen zu beschäftigen und die richtigen Themenkomplexe in Fragen zu übersetzen. Getrieben von der Erkenntnis, dass täglich neues Wissen generiert wird und der Informationsbedarf kontinuierlich wächst.“
(Jurybegründung 2020)

Vor ihrem Grimme-Preis 2021 erhielt Dr. Mai Thi Nguyen-Kim 2018 den Grimme Online Award für ihren YouTube-Kanal „maiLab“. Damals belief sich ihre Abonnentenanzahl auf rund 67.000. Drei Jahre später wurde die Wissenschaftlerin mit dem Grimme-Preis für die „Besondere Journalistische Leistung“ ausgezeichnet. Ihr Kanal hat zu diesem Zeitpunkt 1,3 Millionen Abonnent(inn)en. Als eine der ersten deutschen Wissenschaftler(innen) hat Mai Thi Nguyen-Kim die sozialen Medien für Wissenschaftskommunikation genutzt, um wissenschaftliche Themen einer breiten Masse verständlich aufbereitet und komprimiert zugänglich zu machen.

Und auch im aktuellen Durchgang des Grimme Online Award finden sich Beiträge, die in den Bereich der Wissenschaftskommunikation oder des Wissenschaftsjournalismus fallen:

  • Das Ende vom ewigen Eis
  • Doktor Whatson
  • Wo unsere Erde unbewohnbar wird

2023 erhielt unter anderen das Scrollytelling-Angebot „Das Ende vom ewigen Eis“ einen Grimme Online Award. Der Tagesanzeiger erklärt darin in acht Kapiteln anschaulich die Bedeutung des Thwaites-Gletschers und das bedrohliche Abschmelzen und dessen Folgen. Komplexe Sachverhalte werden mit Karten, Grafiken und Bildern verständlich gemacht. Ein dreiteiliger Podcast ergänzt das Angebot.

Ebenfalls in den wissenschaftlichen Themenbereich fällt das 2023 ausgezeichnete Angebot Doktor Whatson. Auf dem Wissenschaftskanal werden jeden Sonntag Videos veröffentlicht, die den 300.000 Abonnent(inn)en gut recherchierte Themen aus Physik, Umwelt, Philosophie, Nachhaltigkeit oder Technologie verständlich erklären. Dabei nutzt das Team rund um Cedric Engels aufwendige Animationen und liefert immer Quellen mit.