Grimmes Stimme: Kolumne von Çiğdem Uzunoğlu in „Politik & Kultur“

Über das neue Hören

Audionutzung verlässt die Nische

Ich bin viel unterwegs in diesen Tagen, der Herbst ist enorm »veranstaltungsintensiv«! Was mich dabei vielfach begleitet: Radio. Aber eigentlich muss ich sagen: Audio.

Womit wir beim Thema wären: Die (digitale) Audionutzung befindet sich gerade im Umbruch – das zeigt die jüngste ARD/ZDF-Medienstudie 2025 eindrücklich. Gleichzeitig verweisen Auszeichnungen wie unser Grimme Online Award (GOA) und der Deutsche Radiopreis (DR) darauf, wie Podcasts und Audioformate inhaltlich aufsteigen – vom Nischenmedium zum relevanten Bestandteil der Medienlandschaft.

Die ARD/ZDF Medienstudie 2025 liefert hierbei klare Befunde: Lineares Radio verliert demnach nur leicht und zeigt sich insgesamt recht stabil. Die Tagesreichweite sinkt nur minimal, ebenso die durchschnittliche Nutzungsdauer. Vermutlich hätte man es anders erwartet. Parallel dazu wächst Streaming-Audio, das meint insbesondere Podcasts. Bei den 14- bis 29-Jährigen hören sie bereits 48 Prozent regelmäßig. Gleichzeitig holen die älteren Generationen auf: Bei den 50- bis 69-Jährigen stieg der Anteil regelmäßiger Podcast-Hörerinnen und -Hörer auf 25 Prozent, bei den über 70-Jährigen auf 14 Prozent.

Audio wird also zunehmend »on demand« genutzt, individuell und situativ. Gehört wird nicht mehr nur aus reiner Gewohnheit – beim Zugfahren, im Auto oder zu Hause –, sondern viel gezielter, zu ausgesuchten Themen, Stimmen, Formaten. Und das: wann man will und wie man will.

Gerade für die großen Anbieter – im Bereich der Öffentlich-Rechtlichen – bedeutet das eine Herausforderung: Das Angebot muss nicht nur anders erreichbar sein (qua Mediatheken, Apps, Plattformen), – sondern auch anders attraktiv, weil es einer wachsenden Konkurrenz standhalten muss. Im Audiobereich ist eine eigene Medienlandschaft entstanden, mit neuen Playern und Konkurrenzen. Ehemalige Printtitel wie der SPIEGEL oder die ZEIT sind hier plötzlich Mitbewerber oder auch unabhängige Anbieter wie beim Podcast »Die Lage der Nation«, die längst relevante Reichweiten erzielen.

Der letzte Bundestagswahlkampf markierte in dieser Hinsicht einen Wendepunkt. Er war, so scheint es, der erste seiner Art, der auch im Podcast stattfand. Formate wie »Apokalypse und Filterkaffee«, die bereits erwähnte »Lage der Nation« oder der ZEIT-Podcast »Alles gesagt?« öffneten ihre Mikrofone nicht nur für den amtierenden Kanzler, sondern ebenso für seine Konkurrenten. Damit verschob sich der Ort politischer Selbstinszenierung – weg vom Scheinwerferlicht der Studios, hinein in die intimen Klangräume des Langformats. In den stundenlangen Gesprächen durften die Kandidatinnen und Kandidaten mehr sein als Stichwortgeber in einem Schlagabtausch. Sie konnten argumentieren, ausholen, manchmal sogar nachdenklich werden. Der Podcast bot, was das Fernsehen selten zulässt – Zeit.

Aber auch beim Blick in unsere Wettbewerbe zeigt sich: Podcasts sind keine Randerscheinung mehr. Das lässt sich prominent festmachen am GOA 2020 für den NDR-Podcast »Coronavirus-Update« mit dem Virologen Christian Drosten, der Auszeichnung für die »Parlamentsrevue« in diesem Jahr oder auch an den vielen Auszeichnungen für die Podcasts beim Deutschen Radiopreis. Exemplarisch sei hier nur der WDR-Podcast »Sportschau F« erwähnt, ausgezeichnet in der Kategorie Bestes Interview in diesem Jahr.

Diese Entwicklungen verdeutlichen: Gute Podcasts sind mehr als einfaches Aufzeichnen eines Gesprächs oder nischige Selbstreflektion. Preiswürdige Formate verfügen über Recherche, Struktur, oftmals ein kreatives Sounddesign und teils prominente Hosts wie etwa Anne Will. Der Wandel der Audio-Nutzung ist dabei keine Revolution im klassischen Sinne, sondern eine Evolution im Rhythmus der gewachsenen digitalen Möglichkeiten und der veränderten Hörgewohnheiten. Für alle, die Audio produzieren oder begleiten – von Radiosendern über Podcast-Hosts bis hin zu Agenturen und Instituten – heißt das: Mitgestalten lohnt, Qualität macht den Unterschied.

Und: Audio hat Zukunft – aber sie wird anders aussehen als wir sie erwarten. Ich meine das auch gerade mit Blick auf künstliche Intelligenz. Die Entwicklung bleibt spannend und auch ein wenig unberechenbar. Dies und mehr werden wir beim 9. RadioNetzwerkTag diskutieren, der Anfang Dezember in Frankfurt/Main stattfindet. Ich freu mich drauf!

 

Dieser Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 12/2025.