Nicht zurücklehnen – neu erfinden: Warum die ARD jetzt Wirksamkeit neu denken muss.
Liebe Leserin, lieber Leser,
Die "Arbeitsgemeinschaft der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten Deutschlands" ist 75 Jahre alt geworden in diesem Jahr, ein stolzer Meilenstein! Sie hat sich als tragende Säule unserer Demokratie erwiesen, unabhängig, meinungsstark – und widerständig gegenüber den Fragmentierungstendenzen unserer Gesellschaft. Ich war eingeladen, die Jubilarin in Bremen zu feiern und mit einem Impuls zu würdigen. Aber dies soll kein nachträgliches Gratulationsschreiben werden. Gerade weil ich überzeugt bin vom öffentlich-rechtlichen Rundfunk, will ich nicht stehen bleiben beim Rückblick. Denn die eigentlichen Fragen liegen vor uns: Wie bleibt die ARD auch in Zukunft wirksam? Wie behauptet sie sich in einer Welt, in der jeder und jede mit wenigen Klicks Reichweite und Wirksamkeit generieren kann? Und wie kann sie im Zeitalter von KI und globalen digitalen Plattformen ihre Rolle neu definieren und sich positionieren?
Meine Gedanken dazu:
1. Wirksamkeit neu denken: Heute hat jede und jeder die Möglichkeit, in sozialen Netzwerken Reichweite, Einfluss und Meinungsmacht zu entfalten. Die ARD kann sich nicht länger darauf verlassen, dass ihre programmlichen Anstrengungen allein für Relevanz sorgen. Es geht darum, eigene digitale Wirkungsräume zu schaffen, z. B. über einen Ausbau der Mediatheken, in denen glaubwürdiger, relevanter und vertrauenswürdiger Journalismus möglich ist – sowie Austausch und digitale Vernetzung jenseits kommerzieller Interessen. Das heißt: mehr Ressourcen für Partizipation, für Community-Management und digitale Dialogformate aufbringen! Nicht als Projekt, sondern als Daueraufgabe. Dazu braucht es uns – und natürlich eine "Politik", die mitzieht und entsprechende Handlungsräume eröffnet. Gerade online gegangen sind die "ZDFspaces" auf heute.de; durch derzeit drei verschiedene Funktionen ermöglichen sie moderierte und konstruktive Diskussionen direkt unter ausgewählten Artikeln und Videos, zuletzt zur Fußball-Europameisterschaft der Frauen: Eine Blaupause für die Zukunft?
2. Vielfalt ernst nehmen: Wirksamkeit braucht ein Gegenüber. Und das ist die Gesellschaft in ihrer gesamten Vielfalt. Gut ein Viertel der Bevölkerung hat einen Migrationshintergrund. Aber wie sehr spiegelt sich das in der ARD wider? Diversität wird hier oft regional gedacht,aber sie muss auch gesellschaftlich umgesetzt werden. Vielfalt ist das Fundament dafür, dass sich Menschen in der heutigen Gesellschaft mit "ihrem" öffentlich-rechtlichen Rundfunk identifizieren können. Integrative, mehrsprachige Programme rein digital weiterzuführen, ist für mich ein falsches Signal. Deshalb bin ich froh, dass Cosmo dieses Schicksal nicht ereilt hat, und hoffe, dass diese Überlegung vom Tisch ist! Gerade in Zeiten von Desinformation braucht es mehrsprachige Nachrichten mehr denn je – auch im Linearen.
3. Mut zur Offenheit, Innovation und Beteiligung: Der Druck auf öffentlich-rechtliche Sender ist seit Jahren hoch – finanziell, politisch, technologisch. So braucht es jetzt mehr Offenheit für innovative Formate in der ARD, die die Sprache aller Zielgruppen sprechen, auch derer, die dem Linearen längst den Rücken gekehrt haben. Es braucht gerade jetzt mehr Experimentierfreude und Mut im Umgang mit neuen Technologien wie Künstlicher Intelligenz. Aber das ist alles nichts ohne Selbstbewusstsein und ohne die Offenheit Fehler zuzulassen – solange der Lernwille dahintersteht, neue Wege zu gehen und Innovation immer wieder zu stimulieren. Mut, Neues auszuprobieren, ohne gleich von allen Seiten bewertet zu werden. Innovation ist kein Selbstzweck – aber ohne Innovation bleibt keine Institution dauerhaft lebendig.
Mein Wunsch zum 75. Geburtstag: Mehr Wirksamkeit. Mehr Mit-Wirksamkeit. Mehr Vielfalt. Mehr Mut. Denn öffentlich-rechtlicher Rundfunk ist kein Auslaufmodell – wenn wir ihn immer wieder neu denken. Und gemeinsam gestalten.
Auf die nächsten 75 Jahre, liebe ARD!
Dieser Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 9/2025.